Die Weltbank hat die globalen Wachstumsaussichten für 2023 von 2,9 % auf nur noch 1,7 % gesenkt. Eine globale Rezession würde die Schwächsten am meisten treffen, insbesondere in den Entwicklungsländern. Dies hat Auswirkungen auf die Menschenrechte, vor allem auf die Verwirklichung der sozialen und wirtschaftlichen Rechte wie das Recht auf Bildung, das Recht auf Gesundheit und das Recht auf Ernährung. Ebenso beobachten wir eine massive Verschlechterung der politischen und bürgerlichen Rechte auf der ganzen Welt, die durch den Krieg in der Ukraine, aber auch durch eine starke Tendenz zu autoritärer Herrschaft angetrieben wird.
Beide Tendenzen verstärken die große strategische Herausforderung für multinationale Unternehmen, die durch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den UN Global Compact zur Achtung der Menschenrechte in ihren Betrieben und in ihren Lieferketten verpflichtet sind. Die Gesetzgebung zur Lieferkette und die Einführung von ESG-Standards haben den Druck auf die Unternehmen erhöht, die geschäftliche und menschenrechtliche Dimension ihrer Unternehmensaktivitäten zu berücksichtigen.
Im Folgenden haben wir die fünf herausforderndsten Wirtschaft und Menschenrechtsthemen definiert, die Unternehmen in 2023 im Auge behalten sollten. Unsere Ergebnisse basieren auf dem Kriterium der Wesentlichkeit, das nicht nur das Ausmaß der wirtschaftlichen Interaktion zwischen Regionen, in denen Menschenrechtsverletzungen vorkommen, und das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen (und Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit internationalen Gesetzen) berücksichtigt, sondern auch die Nähe zwischen beiden im Hinblick auf die Mitschuld von Unternehmen.
Einige dieser Themen sind bekannt und offensichtlich, während andere weniger diskutiert werden und möglicherweise unter dem Radar der Compliance-Abteilungen durchrutschen. Die Fokussierung auf die fünf genannten Themen ist den Besonderheiten des Themas Wirtschaft und Menschenrechte geschuldet. Hier geht es um die Frage, inwieweit die Unternehmen aus der Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen Nutzen ziehen. Dies schmälert nicht die Situation in anderen Ländern wie Myanmar, Nordkorea, Iran, Burkina Faso, Syrien und der Türkei.
5. Lieferketten für Kobalt, Lithium, Kupfer und Seltene Erden
Der Übergang zu sauberer Energie erfordert die verstärkte Beschaffung natürlicher Ressourcen, die mit ökologischen und sozialen Problemen verbunden sind. Der Kobaltabbau in der Demokratischen Republik Kongo stellt hier eines der Hauptanliegen von NGOs wie Amnesty International dar. Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf der Kinderarbeit im artisanalen Gold- und Kobaltabbau. Dies ist jedoch nicht das Ende der Geschichte: Menschenrechtsprobleme, die diese Lieferketten kennzeichnen, stehen im Zusammenhang mit dem Recht auf wirtschaftliche Teilhabe, Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte oder Umweltfolgen des Bergbaus, die das Recht auf Gesundheit beeinträchtigen oder mit den Rechten indigener Völker in Konflikt stehen.
4. Menschenrechtsfragen in westlichen Lieferketten für Kakao und Kaffee
Die Turbulenzen auf den globalen Rohstoffmärkten, aber auch die steigenden Verbraucherpreise in der westlichen Welt haben die internationalen Lieferketten stark destabilisiert. Dies verschlimmert die Lage der Landwirte und Erzeuger in den Entwicklungsländern. Wie bereits in den frühen 2000er Jahren werden Preisrückgänge, aber auch eine geringere Nachfrage nach Produkten mit höheren ESG-Standards wahrscheinlich zu einem Anstieg der Kinderarbeit führen. Zwei Länder, die von den Preisschwankungen bei Kakao und Kaffee besonders betroffen sind, sind Ghana und die Elfenbeinküste. Darüber hinaus verschärfen sich die politischen Konflikte in Westafrika aufgrund der wirtschaftlichen Rezession, was zu einem Rückgang der politischen Rechte führt.
3. Konflikt in Äthiopien Region Tigray
Äthiopien gilt aufgrund seines billigen Arbeitsmarktes und der schieren Größe des Landes als einer der vielversprechendsten Märkte der Welt. Die jüngste Eskalation in der Region Tigray hat jedoch erhebliche Auswirkungen auf die internationalen Lieferketten. Berichte über Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das Völkerrecht belegen, dass Unternehmen, die mit Äthiopien in Verbindung stehen, auf einen möglichen Beitrag zu diesen Gräueltaten hin überprüft werden müssen. Dies gilt für Investitionsentscheidungen in der Region, insbesondere in der Textilindustrie, aber auch für die Weitergabe von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck an Akteure, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind.
2. Kultureller Völkermord in Xinjiang und die Verschlechterung der Menschenrechte in China
Nach Ansicht internationaler Wissenschaftler kommt die Gesamtheit der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang einem kulturellen Völkermord gleich. Bislang hat die Situation erhebliche Auswirkungen auf die in der Region tätigen Unternehmen, aber auch auf die Textilindustrie insgesamt, die wiederholt beschuldigt wurde, durch die Beschaffung in der Region gegen internationale Arbeitsnormen zu verstoßen. Tatsächlich ist Xinjiang eine der weltweit wichtigsten Herkunftsregionen für Baumwolle. Ebenso ist Xinjiang ein wichtiges Zentrum für die Produktion und Verarbeitung von Polysilizium und anderen Materialien, die für die Erzeugung grüner Energie benötigt werden. Die Menschenrechtslage in China ist auch aus anderen Gründen besorgniserregend. Nicht nur die Rechte von Minderheiten, die nicht der Volksgruppe der Han angehören, sondern auch die Rechte des durchschnittlichen chinesischen Bürgers sind aufgrund der zunehmenden öffentlichen Überwachung und der verstärkten Sicherheitspolitik im Schwinden begriffen.
Zu den Wirtschaftszweigen, in denen es zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann, gehören der Technologiesektor, aber auch Rohstoffe oder Textilien, die aus Chinas Minderheitenregionen (Innere Mongolei, Tibet und Xinjiang) bezogen werden.
1. Menschenrechtsverletzungen im postsowjetischen Raum Putins Entscheidung, einen Krieg gegen die Ukraine zu führen, hat zu einer Verschlechterung der Menschenrechtslage in der Ukraine, in Belarus, aber auch in Russland geführt. Die Situation in den beiden letztgenannten Ländern ist gekennzeichnet durch zunehmende Einschränkungen der Meinungsfreiheit, der Freizügigkeit, aber auch durch die Verschlechterung wirtschaftlicher Rechte wie des Rechts auf Gesundheit aufgrund des Rückgangs der Wirtschaftstätigkeit. Die Lage in anderen postsowjetischen Staaten ist ebenfalls angespannt. Die kasachische Opposition hat einen schweren Stand, während Aserbaidschan einen zweiten Angriff auf die verbleibenden Teile von Karabach/Arzach vorbereiten könnte. Verstärkt wird die Situation durch die Flucht vieler junger Russen, die der Einberufung in die russische Armee entgehen wollen.
Folglich erhöhen die wirtschaftlichen Aktivitäten westlicher Unternehmen in der Region und die Rolle vieler postsowjetischer Länder in westlichen Lieferketten (insbesondere Russland, Kasachstan und Aserbaidschan) die Risiken von Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass staatliche Akteure stark in die politische Ökonomie aller genannten Länder involviert sind, insbesondere in den exportorientierten Sektoren.